Italienische öffentliche Aufträge: Vertrag für die Nutzung der Kapazitäten Dritter („Avvalimento“) und Subunternehmervertrag („Subappalto“). Haftung für die Leistungen des Vergabevertrages und Rechtswidrigkeit der italienischen Vorschriften. 

Ein Unternehmen, das nicht alle Voraussetzungen bzw. alle Mittel besitzt, um an einer öffentlichen Ausschreibung teilzunehmen, kann von einer anderen Firma entweder durch den Vertrag für die Nutzung der Kapazitäten Dritter ("Avvalimento") oder durch den Subunternehmervertrag („Subappalto“) geholfen werden. Die zwei Verträge unterscheiden sich weil im ersten Fall arbeitet das Hilfsunternehmen unter Anweisung des Auftragnehmers und nach den Regeln des Vergabevertrages, im zweiten Fall arbeitet der Subunternehmer selbständig und nach den Regeln des Subunternehmensvertrages. Im ersten Fall haftet das Hilfsunternehmen zusammen mit dem Auftragnehmer gegenüber dem Auftraggeber, im zweiten Fall haftet das Subunternehmen nur gegenüber dem Auftragnehmer. Trotzdem können die Unterschiede zwischen den beiden Verträgen in einigen Fällen sehr gering werden. 

1. Vertrag für die Nutzung der Kapazitäten Dritter ("Avvalimento")

Es gibt zwei Arten von dem s.g. Avvalimento:

der Gewährleistungsvertrag („Avvalimento di garanzia“),  mit dem das Hilfsunternehmen seine wirtschaftlich-finanziellen Leistungsfähigkeiten erbringt (z.B. Umsätze, Bilanzen, Erfahrung). Mit diesem Vertrag verpflichtet sich die Hilfefirma gegenüber dem Auftraggeber seine finanzielle Solidität zugunsten des Auftragnehmers zu leisten;

der s.g. operativen Hilfsvertrag („Avvalimento operativo“): mit dem das Hilfsunternehmen technisch-beruflichen Leistungsfähigkeiten erbringt (z.B. materielle Mittel: Geräte, Instrumente, Mitarbeiter, Qualitätsbescheinigungen, usw.). 

Gemäß Art. 89 des Gesetzbuches für die öffentliche Aufträge („Codice Appalti“) haftet das Hilfsunternehmen ("Impresa Ausiliaria") zusammen mit dem Auftragnehmer gegenüber dem Auftraggeber für die Leistungen des Vertrages. Es wird aber nicht klargestellt, welche Vertrag und welche Leistungen hier in Betracht kommen (der gesamte Ausschreibungsvertrag oder der Hilfsvertrag); daher ist die italienische Rechtsprechung in dieser Hinsicht nicht einig. 

Der europäische Gesetzgeber hat zum ersten Mal die Solidarhaftung des Hilfsunternehmens und des Auftragsnehmers für die Leistungen des Vertrages im Jahr 2014  vorgesehen (durch die europäischen Richtlinien 2014/24/UE, 2014/23/UE und 2014/25/UE) . 

Allerdings wird vom europäischen Gesetzgeber vorgesehen, dass die Solidarhaftung nur beim Gewährleistung-Hilfsvertrag wirken kann, und dass die Solidarhaftung nicht automatisch ist: der Auftraggeber ist frei diese Haftung beim Gewährleistungsvertrag (in der Regelung der Ausschreibung) vorzusehen. 

Auch deswegen interpretiert ein Teil der italienischen Rechtsprechung und der Rechtslehre[1]  die Solidarhaftung vom Art. 89 als eine beschränkte Haftung: die Hilfefirma würde nur für die erbrachten Leistungen und nicht für die gesamte Leistungen der Ausschreibung gegenüber dem Auftraggeber haften (wegen dem Prinzip „keine Macht keine Haftung“). Außerdem können die Auftraggeber verlangen (gemäß Art. 63 der Richtlinie 2014/25/UE und gemäß dem o.e. Art. 89), dass die Hauptleistungen nur von dem Auftragnehmer geleistet werden.

Die Antikorruptionsbehörde und der Staatsrat[2] haben festgelegt, dass in dem Hilfsvertrag die Haftung der Hilfefirma nicht begrenzt werden kann (während immer möglich ist, eine interne diesbezügliche Vereinbarung zwischen dem Auftragnehmer und dem Hilfsunternehmer zu treffen). Gegen diese Ausrichtung hatte aber der Staatsrat[3] das Gegenteil entschieden („das Pflicht in dem Hilfsvertrag alle erbrachten Mittel genau anzugeben hätte keinen Sinn wenn die Haftung der Hilfefirma auch Leistungen betrifft, welche nicht zur Verfügung gestellt worden sind“). 

2. Subunternehmervertrag ("Subappalto") 

Gemäß Art. 105 des italienischen Gesetzes für die öffentliche Aufträge darf der Auftragnehmer die Durchführung eines Teiles der Leistungen an Dritter übertragen. Der Subunternehmervertrag muss von dem Auftraggeber genehmigt werden. 

Die übertragene Leistungen dürfen aber

nicht mehr als 30% der gesamten Leistungen der Ausschreibung betragen (bis zum 31.12.2021 laut dem Gesetz N. 55/2019 - s.g. "Sbloccacantieri" - gilt aber den Prozentsatz vom 40%);

- dieselbe Preise des Vergabevertrags anbieten, mit der Möglichkeit eine Reduzierung von höchstens 20%.

Die o.e. Grenzen sind aber von zwei neuen Urteilen des europäischen Gerichtshofes (CGUE C63/18 vom 26 September 2019 und CGUE C-492/18 vom 27 November 2019 - bestätigt durch den Brief der europäischen Kommission N 4160967 vom 7.08.2020) bestritten worden, weil diese nicht im Einklang mit den europäischen Vorschriften sind:

- erstens: weil sich gegen die Förderung des freien Wettbewerbs stellen und 

- zweitens: weil abstrakte Grenzen die für alle Subunternehmerverträge vorgesehen sind (ohne die Möglichkeit vorzusehen, die Fähigkeiten der Subunternehmer jedes Mal zu überprüfen). 

Der italienischer Staatsrat[4] hat im Jahr 2020 die Rechtswidrigkeit der italienische Obergrenze von 30%  (bzw. 40%) bestätigt, und eine Ausschreibungsregelung - welche diese Grenze enthielt - als unrechtmäßig erklärt. Dieselbe Rechtswidrigkeit der italienischen Vorschriften wurde von der Antikorruptionsbehörde[5] im Jahr 2019 erklärt. Man erwartet eine Änderung der o.e. Vorschriften von dem italienischen Gesetzgeber.

Was die Haftung betrifft, haftet der Subunternehmer für die Leistungen des Subunternehmervertrages nur gegenüber dem Auftragnehmer; er hat keine direkte Beziehung mit dem Auftraggeber. 

Schlusßfolgerungen

Hilfsvertrag: Die Vorschriften des italienischen Gesetzes für die öffentlichen Aufträge betreffend die Solidarhaftung des Hilfsunternehmens (gegenüber dem Auftraggeber) werden von der italienischen Rechtsprechung und Rechtslehre nicht gleichmäßig interpretiert. Das weil diese sich von den europäischen Vorschriften unterscheiden. Da die Leistungen, welche erbracht werden können, sehr verschieden sind (Mittel, Erfahrung, Bilanzen, Umsätze, Bescheinigungen, Personal, usw.), ist zu behaupten dass am Ende nur das Gericht entscheiden kann, in dem speziellen Fall, wie die Solidarhaftung des Hilfsunternehmers zu betrachten ist.

Subunternehmervertrag: Der Subunternehmer haftet nur gegenüber dem Auftragnehmer und nicht gegenüber dem Auftraggeber. Er wird den Subunternehmervertrag selbständig durchführen (anders als das Hilfsunternehmen, das die Hinweisungen des Auftragnehmers im Rahmen des Vergabevertrages folgen muss).

Die Obergrenzen, welche von den italienischen Vorschriften vorgesehen sind (30% bzw. 40% der gesamten Leistungen und 20% der Reduzierung der Preisen) wurden von dem Staatsrat und der Antikorruptionsbehörde als rechtswidrig erklärt (weil sich gegen die Förderung des freien Wettbewerbs und das Prinzip des „Favor Partecipationis“ stellen).

 

Rom, 15.01,2021


[1] (Roberto Mangani "L'Avvalimento nel nuovo Codice dei contratti pubblici tra vecchie questioni e nuovi problemi", in Giustamm Anno XVIII, Gennaio 2021, n. 10-2016 - 5433)

[2] ANAC Delibera N. 392 vom 12.04.2017Consiglio di Stato Sez. VI n. 4703 von 13.10.2015

[3] Consiglio di Stato n. 911/2013 von 14.02.2013

[4] Consiglio di Stato N. 4832/2020 von 29.07.2020

[5] N. 8 vom 13.11.2019)

Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung der Brüssel-I-Verordnung)

Am 10.Januar 2015 ist die Verordnung EU Nr. 1215/2012 in Kraft getreten. Nach dem neuen Recht wird das Exequaturverfahren der Verordnung Brüssel-I abgeschafft. Das heißt, dass eine in einem EU-Mitgliedstaat ergangene Entscheidung in allen Mitgliedstaaten anerkannt wird, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf, und dass sie (sofern sie im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar ist) in allen Mitgliedstaaten vollstreckt werden kann.

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